GEGENWARTSLITERATUR 1467
Der Zumpel

Manchmal entsteht eine Kostbarkeit dadurch, dass nichts mehr von ihr übrig ist außer einer Ahnung, wie es einmal war. Dieser seltsam nachklingende Geschmack kann sich als Geruch, Gesprächsfetzen, Ambiente oder Anekdote einfinden.

Im Falle der Erzählung "Der Zumpel" ist so gut wie alles verschollen, peripher oder abgeklungen. Ein kleiner Verlag gibt eine längst abgelegte Erzählung eines längst vergessenen Dichters heraus. Und auch die Thematik ist so was von fern und entlegen, dass man sie nur mit Mühe wieder auf eine Landkarte bringt.

Bereits der Titel ist letztlich nichts als ein Stück vergessene Sprache, unter Zumpel gibt das weißbärtige Grimmlexikon etwas an wie "für einfältiger, kümmerlicher Kerl". Geographisch im Niemandsland der Monarchie angesiedelt, leben die Bewohner eines kleinen slowakischen Nestes ihr Leben herunter, das in der üblichen Karriere verläuft: "In Wradisch geboren, in Wradisch gestorben. Ein Menschenleben." (35)

Der Ich-Erzähler gibt ganz den verschmitzten Zumpel, wenn er seine Erfahrungen im alltäglichen Überlebenskampf zu einem coolen Knigge für absurde Situationen zusammenschreibt. In einem Kataster für Regularien wird etwa empfohlen, zwar immer ein Stück Torte gleich zu essen, aber das angebotene zweite Stück artig abzulehnen, damit man es erst recht bekommt. Und der kluge Tortenesser geht anschließend in die Küche und holt sich dort das dritte Stück vom Blech.

"Kann man dir etwas nachweisen, lüge nicht." (58)

"Quäle nie ein Tier, wenn jemand in der Nähe ist!" (59)

"Tue schlecht und scheue niemand." (60)

"Man muss nicht in der Nähe eines Fensters sein, um es zu zerbrechen." (61)

Diese Weisheiten hat sich der Zumpel freilich hart erarbeiten müssen. Als er einmal einem Mädchen imponieren will und eine Schale Milch "ex" trinkt, muss er sofort ums Eck kotzen, weil er sich übernommen hat. Das führt zur Erkenntnis, dass die Männer eigentlich die besten Kunststücke für die Frauen parat hätten, aber diese schauen nie zu, so dass es keinen Sinn macht, herzige Akrobatik aufzuführen.

Ein guter Zumpel hat nicht nur sich selbst unter Kontrolle und ironisch im Auge, vor ihm ist auch das Gemeinwesen nie sicher. Eine beliebte Störung der öffentlichen Strenge besteht etwa darin, beim Exerzieren dem Offizier in die Parade hinein zu zählen, was jeden analphabetisierenden Kommandanten sofort aus dem Exerzierrhythmus wirft.

"Ein wunderbares Abbild einer genauestens geschilderten vergangenen Welt", schreibt der tapfere Verleger Uwe Laugwitz im Nachwort. Und uns Lesern bleibt diese schöne Gewissheit, an der wir uns an bodenlosen Tagen so sehr aufrichten: In der Literatur geht niemand verloren!

Helmuth Schönauer 14/02/06