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28.05.2005 Spectrum Literatur

Dienstboten: Drei Stunden stillsitzen können

Von Evelyne Polt-Heinzl

Eine Wiederentdeckung: Frida Ehrensteins Dienstbotenroman.

Wer sich in Österreich bemüht, einem heimischen Verlag eine Wiederentdeckung schmackhaft zu machen, hat in der Regel kein leichtes Spiel, das gilt für gut geförderte Verlage ebenso wie für die kleinen Einmannbetriebe. Selbst wenn das Werk rechtefrei ist, die literarische und kulturhistorische Bedeutung außer Frage steht, ist das verlegerische Interesse selten anzufachen. Anders in Deutschland. Da scheint es allerorten Kleinpressen zu geben, die nicht nur Anregungen aufgreifen, sondern auch selbst literarhistorische Detektivarbeit leisten: Es ist Gerhard Lindenstruth, der sich seit Jahren um das Werk der ersten österreichischen Krimiautorin, Auguste Groner, bemüht; es ist Rudi Schweikert, der die österreichische Autorin Bertha Eckstein-Diener alias Sir Galahad präsent zu machen versucht, und nun stellt Uwe Laugwitz eine unbekannte Autorin des österreichischen Exils vor.

Der österreichische Expressionist Albert Ehrenstein hatte nicht nur einen wenig bekannten schreibenden Bruder namens Carl, sondern auch eine schreibende Schwester namens Frida. Der Nachlass der Brüder Ehrenstein befindet sich in der Jewish National & University Library in Jerusalem. Dort fand Uwe Laugwitz, forschend über den Bruder Albert, eine Mappe mit Prosatexten der Schwester Frida, um deren Publikation sich Fridas Brüder Anfang der 1930er-Jahre wohl ergebnislos bemüht hatten. Nun liegen sie hier erstmals gedruckt vor. Dem informativen Nachwort des Buches ist zu entnehmen, dass sich viele Details von Fridas wenig erfreulichem Leben hier erzählerisch verarbeitet finden. Die absolut tyrannische Mutter vergiftete das Leben aller Geschwister, das der einzigen Tochter Frida noch etwas mehr, da es für sie lange kein Entkommen gab aus ihrer Stellung als hauseigenes Dienstmädchen. Die Flucht der Familie nach England in den 1930er-Jahren änderte wenig, da die bedrückende finanzielle Lage der Familie Frida nun dazu zwang, Stellungen als Dienstmädchen bei diversen Madams anzunehmen. Der zentrale Text des Bandes ist eine romanhafte Verarbeitung dieses Lebens mit dem Titel "Nur die Nacht gehört mir", in die sich auch Motive der sechs vorangestellten Erzählungen eingebaut finden. Frida Ehrenstein schrieb diesen Dienstboten-Roman auf Englisch. Während in den früher entstandenen Prosatexten sprachlich kleinere Holprigkeiten zu finden sind, ist der Roman aus einem Guss.

Unbezweifelbar aber ist der gelungene Aufbau des Textes. An Arthur Schnitzlers "Therese - Chronik eines Frauenlebens" erinnernd, schildert die Ich-Erzählerin die endlose Reihe ihrer Dienstherrinnen, deren Ignoranz und Präpotenz dem dienenden Inventar des Haushalts gegenüber. Dabei versucht sie stets herauszufinden, welche Lebensumstände die einzelnen Madams so biestig werden ließen. Gewohnt, hart zu arbeiten, aber nicht bereit, ihren Stolz aufzugeben, und um jedes Stück Intimität kämpfend, hält sie es an keiner Stelle lange aus. Ein geregeltes Privatleben ist für die 35-jährige Frau bei nur einem freien Nachmittag pro Woche kaum zustande zu bringen, auch keine Männerbekanntschaften. Die wenigen Außenkontakte verlaufen, auch aufgrund ihrer Schüchternheit und des fortgeschrittenen Alters, wenig ermutigend. Das Schicksal ihrer Kolleginnen ist kaum erfreulicher, Armut, ledige Kinder oder allenfalls unglückliche Ehen - das scheint alles, was das Schicksal ihnen zu bieten hat. Was bleibt, sind die Nächte, allein und mit der Möglichkeit, zu lesen - und die wöchentlichen Kinobesuche. "Das Kino ist für mich wie eine Droge. Drei Stunden still sitzen können" und "einmal etwas anderes als mein eigenes Leben" sehen.

Das Ich, das hier erzählt, ist äußerst reflektiert, beobachtet sich selbst und seine Umgebung sehr genau und sieht wenig Erfreuliches. So werden die Wünsche immer bescheidener: Der Traum von der großen Liebe wird allmählich ebenso abgelegt wie die Hoffnung auf eine Vernunftheirat. Übrig bleibt der Wunsch nach eigenen vier Wänden, mit eigenen Möbeln, einem freien Sonntag und überhaupt geregelten Arbeitszeiten, eine anständige Entlohnung statt Trinkgeldern und Geschenken - ein absolut vernünftiges sozialpolitisches Forderungsprogramm für den Dienstmädchenalltag in der sogenannten guten alten Zeit.

Frida Ehrenstein: Die Schlange. Erzählungen und das Tagebuch eines Dienstmädchens. 202 S., geb., € 18 (Laugwitz Verlag, Buchholz)

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